F.A.Z., 29. Juli 2006

Risiko Rauchen
Im Kampf gegen den Tabak werden die Bürger entmündigt.
Von Patrick Welter

Am Markt geht alle Macht vom Verbraucher aus. Verbraucher entscheiden, welche Produkte sie kaufen und welcher Werbung sie trauen. Ver-braucher entscheiden über den Erfolg oder Mißerfolg von Produkten und Unternehmen. Man muß sich dieses Grundgesetz der Marktwirt-schaft, das im Bild des mündigen Bürgers auch dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde liegt, immer wieder in Erinnerung rufen, weil sich die Ringe um die Tabakindustrie und die Raucher enger ziehen.
Das durch die Europäische Union erzwungene weitgehende Werbeverbot für Tabak und die Überlegungen im politischen Deutschland für ein umfassendes Rauchverbot in öffentlich zugäng-lichen Räumen zielen darauf ab, dem Rauchen die Gesellschaftsfähigkeit zu nehmen, Etwa jeder vierte Deutsche raucht und nimmt wissentlich die Risiken von Krankheit und frühem Tod auf sich. Nach Ansicht vieler hat ihnen das Nikotin den Verstand vernebelt. Viele Politiker sind jedenfalls der Meinung, daß die Bürger nicht selbst ent-scheiden dürfen ob und wo sie rauchen oder Tabakrauch einatmen. So geht in Kürze wohl ein weiteres Stück Freiheit und Marktwirtschaft verloren.
Das Postulat, Regierungen müßten den Verbraucher vor Gefahren schädlicher Produkte schützen, steht seit je in einem Spannungs-verhältnis zum Selbstverständnis des mündigen Bürgers, über seine Belange in Freiheit selbst zu entscheiden. Dies erfordert von der Politik eine besondere Zurückhaltung, wenn sie sich in die Kaufentscheidungen und Konsumgewohnheiten der Bürger einmischt. Die Marktwirtschaft legt als Grundprinzip der Verbraucherschutzpolitik nahe, daß Regierungen den Verbraucher über die Schädlichkeit von Produkten informieren und ihn dann selbst entscheiden lassen, ob er die Risiken auf sich nehmen will. Über die Gefahren des Rauchens und des Passivrauchens sind und werden die Deutschen informiert. Die Kam-pagnen gegen das Rauchen gehen indes weit über eine solche marktkonforme Verbraucher-schutzpolitik hinaus. Ziel der Strafsteuern auf Tabak und der Werbeverbote ist es, die Deut-schen zu Nichtrauchern zu machen. Das Volk soll umerzogen werden. Daß Deutschland unter der rot-grünen Regierung der internationalen Anti-Tabak-Konvention beitrat und sich verpflichtete, den Tabakkonsum einzudämmen, verleiht diesem Vorhaben keine größere Dignität.
Der politische Kampf gegen das Rauchen wird oft mit den Kosten begründet, die Raucher der Gesellschaft angeblich aufbürden. Nach einer anerkannten, aber zurückhaltenden Berechnung belasten Raucher das Gesundheitssystem mit gut 5 Milliarden Euro im Jahr. Das sind gerade mal rund ein Drittel der Einnahmen, die der Staat aus der Tabaksteuer erzielt. Höher liegen mit knapp 14 Milliarden Euro die Verluste wegen Arbeits-ausfall durch Krankheit und frühen Tod. Diese Kosten darf man in einer freiheitlichen Gesell-schaft jedoch nicht gegen die Raucher ins Feld
führen: Freie Bürger sind nicht geboren, um ihre Arbeitskraft im Dienste der Gesellschaft auszu-schöpfen. Im übrigen geben selbst Tabakgegner zu, daß Raucher die Sozialkassen wahrscheinlich gar nicht belasten. Raucher verursachen den Krankenversicherungen zwar höhere Kosten als gleichaltrige Nichtraucher. Aber sie sterben im Schnitt acht Jahre früher, was die Auszahlungen für Kranken- und vor allem für die Rentenkassen drastisch verringert.
Mündige Bürger sind es gewohnt, Risiken ab-zuwägen und nach eigenem Gusto begrenzt ein-zugehen. Sie entscheiden tagein, tagaus darüber, ob sie auf Autobahnen schnell fahren, ob sie durch Kartoffelchips und Pizza ihren Cholesterinspiegel in die Höhe treiben und Fett ansetzen oder ob sie sich beim Sonnenbaden dem Risiko Hautkrebs aussetzen. Noch will ihnen das zum Glück niemand verbieten, wobei in Frankreich schon über Strafsteuern auf unge-sundes Knabberzeug diskutiert wird. Nichts spricht dagegen, daß mündige Bürger auch mit dem Risiko Rauchen verantwortungsbewußt umgehen. Nach Studien bevorzugen Raucher generell risikoreichere Tätigkeiten. Die persön-liche Liebe zur Gefahr rechtfertigt keine staat-liche Bevormundung.
Mittlerweile wird der Kampf gegen das Rauchen unter dem Stichwort Nichtraucherschutz geführt, weil niemand mehr ernsthaft die Risiken des Passivrauchens bestreitet. Die Gefährdung durch passives Rauchen mag ein Grund sein, an Orten wie Rathäusern Rauchverbote einzuführen, weil Bürger sich dort manchmal zwingend aufhalten müssen. Sie mag auch ein Grund sein, Arbeitnehmer vor rauchenden Kollegen zu schützen, wie es das Arbeitsschutzrecht schon weitgehend vorschreibt. Zivilisierte und mündige Raucher und Nichtraucher lösen solche Fragen aber schon heute mit gegenseitigem Verständnis vor Ort und müssen nicht nach dem Gesetz rufen. Jedem Hausherrn steht es frei, per Haus-recht Rauchverbote zu erlassen.
Gegen die Marktwirtschaft richtet sich das Verlangen, mit gesetzlichen Rauchverboten die unternehmerische Freiheit von Gastronomen zu beschneiden. Mündige Nichtraucher entscheiden selbst, ob sie sich in Restaurants oder Bars Tabakrauch aussetzen. Niemand zwingt sie, diese Orte aufzusuchen. Andererseits bietet der Wunsch nach rauchfreiem Vergnügen Gastwirten und Kneipiers Marktchancen, die sie vermehrt wahrnehmen. Niemand zwingt Wirte, das Rauchen in ihren Räumen, zuzulassen. Eben-sowenig muß man Wirten aber die Freiheit nehmen, rauchende oder nichtrauchende Bedienungen einzustellen, um rauchende Gäste empfangen zu können. Am Markt führen die Entscheidungen mündiger Menschen zu dem Maß an Nichtraucherschutz, das die Gäste wünschen. Der Zwang des Gesetzes erscheint nur den-jenigen unabweislich, die die Deutschen erziehen wollen.

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