F.A.Z., 05. Februar 2008


Verbotswahn

Gemeinschaftlichkeit. Einheitlichkeit. Beständigkeit. Das ist, in großen Lettern steht es eingeritzt über dem Eingang der „Brut- und Normzentrale“, das Credo der „Brave New World“, wie sie Aldous Huxley 1932 beschrieben und damit frappierend vorweggenommen hat, welch düstere Auswüchse mit der Vollendung wohlfahrtsstaatlicher Visionen einherzugehen drohen: eines Staatswesens, das zum Schutze der Bürger und Sozialkassen auf ein ausgefeiltes System von Verboten zurückgreift - und das zur Besänftigung von Querköpfen eine Kunstdroge entwickelt, die sich nur unwesentlich von der Errungenschaft des allgegenwärtigen Fernsehens unterscheidet. Da ist es nur konsequent, dass am Sonntag in Anne Wills Talkrunde die Frage „Was verbietet der Staat als nächstes?“ erhoben wurde. Und einigermaßen beunruhigend, dass lediglich ein Schauspieler, eine Wirtin und ein Herr mit Narrenkappe dem letzten Politiker, auf dem Podium beizuspringen wagten, der sich dem Verbotswahn aus prinzipiellen Gründen widersetzt. Die übrigen Gäste aber machten den Liberalen Wolfgang Kubicki rasch als Staatsfeind Nummer eins aus, sobald der mit hemmungsloser Gelassenheit um etwas Vertrauen in die Selbstheilungskräfte der paffenden, kippenden und futternden Menschheit warb. Sie waren sich darin einig, was der allgegenwärtige Sozialdemokrat Karl Lauterbach in die verführerische Formel packte: „Es geht nicht um Verbote, es geht um Verbraucherschutz.“ Sie sprachen vom Glück der Mehrheit, hatten Statistiken für ein Rauchverbot parat, das selbst an Orten gilt, über deren Betrieb und Besuch man früher einmal allein entscheiden durfte. Und sie konnten sich durchaus, die Volksgesundheit im Auge und das Kindeswohl als Trumpf im Ärmel, im Einzelfall auf Trink- und Werbeverbote, bei schädlichen Lebensmitteln auf appetitzügelnde Warnhinweise verständigen. Geradewegs so, als habe es Jugendschutzgesetze, Bildungsaufträge, Familienverbände oder gar die Idee vom eigenverantwortlichen Dasein noch nie gegeben. Um es mit der Empörung just jenes Menschen zu formulieren, der als Vorsitzender der „Nichtraucher-Initiative Wiesbaden“ soeben den trotzrauchenden Altkanzler Helmut Schmidt vor den Kadi zerren wollte (auch wenn er von dessen Tabakdunst nicht das kleinste Wölklein abbekam): „Wo kommen wir denn da hin?“ Ein Horst Keiser, frühpensionierter Postbote, kämpft nun einmal nicht für Raucher- oder Nichtraucherzonen. Ein „rauchfreies Deutschland“ soll es sein. Das war sogar für Karl Lauterbach ein wenig viel des Guten. Die Moderatorin Anne Will deutete indes an, wo wir vermutlich hinkommen, wenn es mit der scheinheiligen Verbotswut so weitergeht: in eine Gesellschaft, bei der sogar im Bewerbungsgespräch eines Tages vom „Body-Mass-Index“ die Rede sein wird. Das Augenzwinkern, mit dem sie von einem Gesprächspartner zum nächsten überleitete, tat ausgesprochen gut. math.
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